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15: FoMO und die Tulpen

Andy • 12. April 2021
Spekulationsblasen an den Börsen deuten sich häufig an. In den meisten Fällen sind es wir Privatinvestoren, die den Knall vorhersagen – und das vollkommen unbewusst.
 
Das Jahr 2020 wird als ein sehr besonderes in die Geschichtsbücher eingehen: Im Frühjahr brach ein Virus aus und entwickelte sich rasch zu einer globalen Pandemie. Die gesamte Weltwirtschaft kam zum Erliegen. Unternehmen mussten ihre Produktion stoppen und Millionen von Menschen wurden in Kurzarbeit geschickt oder sogar komplett entlassen. Weltweit verhängten Regierungen Lockdowns, schlossen Geschäfte, Bars oder Restaurants und riefen die Bürger dazu auf, möglichst zuhause zu bleiben, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu vermeiden.

Innerhalb von nur wenigen Wochen wechselte die wirtschaftliche Stimmung von Euphorie zur puren Panik. Die Folge: Im März brachen weltweit Aktienkurse so stark zusammen, wie selten in der Geschichte zuvor. So fielen der deutsche Aktienindex DAX von 13750 Punkten um ca. 28% auf 8500 Punkte, der amerikanische S&P 500 von 3500 etwa um 26% auf 2250 Punkte und der chinesische CSI 300 von 4200 Punkten um 16% auf 3540 Punkte [1-3]. Der Crash war da.

Die Hausse nach dem Crash

Doch wie so oft, legte sich bald die Panik und die Börsen beruhigten sich – unterstützt durch zahlreiche Konjunkturprogramme der internationalen Notenbanken wie der europäischen EZB, US-amerikanischen FED oder der chinesischen PBoC [4-6]. Die Kurse begannen also wieder zu steigen und spätestens zum Sommer 2020 waren die Verluste wieder vollständig wett gemacht.

Wer in dieser Panik jedoch Aktien gekauft hat, konnte in kürzester Zeit eine hübsche Summe Geld verdienen. In verschiedenen Foren und sozialen Medien gingen zahlreiche Posts rum, in denen „Investoren“ ihre erzielten Gewinne der Allgemeinheit vorstellten. Sie verkörperten medienwirksam den Eindruck, dass an der Börse jeder und über Nacht mit Aktien reich werden konnte – auch wenn man keine Erfahrung hat. Neue Influencer, YouTuber, Podcaster oder Blogger erfreuten sich schnell großer Beliebtheit. Verstärkt wurde dieser Trend durch Apps wie Trade Republic, Etoro oder Scalable, die beim Handel geringe Gebühren versprechen und übers Handy bequem das „Traden“ mit Aktien ermöglichen.

Wohlgemerkt ging auch mein Blog in dieser Zeit online. Doch im Gegensatz zu anderen, vertrete ich nicht die illusorische „Mit Aktien Schnell Reich Werden“-Philosophie, sondern engagiere mich für die langfristige und vor allem gut bedachte und überlegte Investition in börsennotierte Unternehmen. Außerdem mache ich keine Werbung für bestimmte Produkte oder Services - weder verdeckt noch offen. Mein Blog ist Hobby und Überzeugung.

Neue Investoren: Die App-Trader

Angelockt von immer weiter steigenden Kursen ist so eine neue Generation von (Privat-)Investoren an die Börse gekommen. Ich bezeichne sie gerne als „App-Trader“. App-Trader handeln vorwiegend übers Handy und nutzen häufig die zuvor genannten Apps oder deren vergleichbare Alternativen. App-Trader investieren vorwiegend in Trend-Aktien, die wiederum derzeit in den sozialen Medien gehypt werden. Beispiele sind Unternehmen etwa aus den Bereichen Wasserstoff und Elektromobilität oder chinesische Technologieaktien. Oder aber sie gehen auf die Jagd nach Schnäppchen und kaufen gezielt Aktien mit stark gefallenen Kursen, wie etwa Betreiber von Einkaufszentren, Reiseanbieter, Flughafenbetreiber oder Airlines. Darüber hinaus halten App-Trader ihre Aktien eher kurzfristig und verkaufen, sobald kleine Gewinne realisiert wurden. Immer begleitet von dem Irrglauben geringer Handelsgebühren. Doch die wohl deutlichste Eigenschaft von App-Tradern ist, dass sie Aktien über ihren Kurs sowie dessen Verlauf, nicht aber über die dahinterstehenden Unternehmen definieren. Die wenigsten dürften wissen, was das Geschäftsmodell des Unternehmens ist, in das sie investiert haben, oder was mögliche Risiken sein können.

Kurzum: App-Trader sind keine Investoren. Sie sind Spekulanten. Investoren sind, per Definition, Anleger die während der Investitionsdauer vorwiegend auf kalkulier- oder abschätzbare Zahlungsströme wie Zinsen oder Dividenden setzen [7]. Investoren verdienen Geld, indem sie die Anlage halten. Spekulanten hingegen sind Anleger, die bei der Auswahl von Geldanlagen vorwiegend auf Preisveränderungen abzielen [8]. Spekulanten möchten also ein Wertpapier zu einem höheren Preis verkaufen, als sie es gekauft haben. Die Haltedauer spielt keine Rolle.

An Spekulationen an sich ist grundsätzlich nichts auszusetzten. Auch ich spekuliere hin und wieder. Jedoch halte ist es für sehr wichtig, als Anleger zumindest zu wissen, ob man gerade Investor oder nur Spekulant ist.

Spekulationsblasen und deren Ursprung

Eine Spekulationsblase beschreibt eine Marktphase, in der Anleger ein Anlagegut kaufen, bloß weil sie sie davon ausgehen, dass es ihnen jemand anders zu einem wiederum höheren Preis abkauft. Der zugrundeliegende „wahre“ Wert des Anlageguts ist dabei häufig vollkommen vernachlässigbar. Spekulationen können im Grunde alles beinhalten: Ob Oldtimer, Kunst, Aktien, Immobilien, Rohstoffe oder Kryptowährungen. Einzig die Aussicht auf den gewinnbringenden Wiederverkauf ist entscheidend.

Die erste große Spekulationsblase entstand übrigens im Holland des 17ten Jahrhunderts und drehte sich um Tulpen [9]. Richtig gelesen: Tulpen. Damals wurden in Holland immer neue Sorten von Tulpen gezüchtet oder sogar per Schiff aus weit gelegenen Teilen der Welt importiert. Die Zwiebeln fanden auf den Marktplätzen und Auktionshäusern reißenden Absatz und wurden zu immer höheren Preisen angeboten. Die glücklichen Käufer wiederrum verkauften die Tulpenzwiebeln schnellstmöglich zu einem noch höheren Preis weiter. Schon bald setzte eine Manie ein, die angetrieben war von einer sich immer weiter drehenden Preisspirale. Jede Auktion stellt neue Rekorde auf. Diese Euphorie ging sogar so weit, dass ausgewählte Tulpenzwiebeln mehr kosteten, als ganze Wohnhäuser (*).

Immer Menschen stiegen in das Geschäft mit den Tulpen ein und wollten ein Stück vom Kuchen abhaben. Ganz egal ob Buchhalter, Bäcker oder Dienstmädchen – jeder suchte sein Glück mit den Tulpen. So prägte sich der Begriff „Dienstmädchenhausse“ für einen durch Unerfahrene ausgelösten Kursanstieg von Anlagegütern [10].

Es kam es wie es kommen musste und die Spekulationsblase erreichte im Februar 1637 ihr jähes Ende: Die Preise für Tulpenzwiebeln waren auf einem neuen Rekordhoch. Doch urplötzlich fanden sich auf einmal keine Käufer mehr, die Zwiebeln im Glauben eines Wiederverkaufs abkaufen wollten. Es entstand ein Überangebot infolge ausbleibender Nachfrage. Erneut begann die Spirale sich zu drehen – nur eben in die umgekehrte Richtung. Jeder versuchte, seine Ware irgendwie möglich loszuschlagen – ganz egal zu welchem Preis. Die Folge: Bis Mai 1637, also in nur drei Monaten, fiel der Preis ins Bodenlose und Tulpen waren wieder zu dem geworden, was sie einst waren. Ganz normale Blumen.

Parallelen zu heute

Was lehrt uns diese Geschichte? Bei einem Blick auf die nationalen und internationalen Börsen ergibt sich heute ein ähnliches Bild. Der von mir eingangs beschriebene Crash und die schnelle Erholung im letzten Jahr brachten viele neue Anleger an die Börse. So stieg allein in Deutschland die Anzahl der Aktionäre innerhalb nur eines einzigen Jahres um stolze 28% [11]. Heute sind über 12 Millionen Deutsche an der Börse aktiv – so viele, wie seit 20 Jahren nicht mehr [11]. Damals platzte bekanntlich Anfang des Jahrtausends die berühmte Dot-Com Blase, als klar wurde, das gehypte Technologiewerte massiv überbewertet waren.

Ein Bruchteil der heutigen Neulinge wird hoffentlich ebenfalls zu richtigen Investoren. Der Großteil hofft jedoch auf das schnelle Geld und kauft das, was gerade im Trend ist. Diese Strategie ist allerdings gefährlich und kurzlebig: Denn in Zeiten steigender Kurse ist schließlich nichts einfacher, als der Masse zu folgen. Selbst mit unüberlegten Käufen lassen sich durchaus Gewinne erzielen. Ursache ist dann jedoch reiner Zufall und Glück, nicht Können des Investors.

Sollte sich jedoch die Großwetterlage an der Börse ändern, verlieren häufig die riskanten und spekulativen Aktien überproportional stark, während solide Unternehmen tendenziell weniger fallen. Der Grund ist der gleiche wie bei den zuvor beschriebenen Tulpen: Die Anleger versuchen ihre zuvor gehypten Aktien so schnell es geht und zu jedem Preis loszuschlagen, bevor sie komplett wertlos werden.

FoMO

Und die Anzeichen für einen solchen Umschwung mehren sich: Ein häufig verwendeter Frühindikator für Spekulationsblasen ist „FoMO“. FoMO ist die Abkürzung für „Fear of Missing Out“ und beschreibt das massenpsychologische Phänomen, dass die Befürchtung einen Trend oder eine spannende Chance zu verpassen, Menschen dazu verleiten kann, unüberlegte Entscheidungen zu treffen oder Risiken zu unterschätzen [12]. Solche Situationen kommen selbstverständlich auch an der Börse vor. Wenn beispielsweise jeder im Freundeskreis darüber spricht, wieviel Geld er an der Börse verdient hat, neigen Menschen dazu, auch ein Stück vom Kuchen abhaben zu wollen. Wie praktisch also, dass das mit dem Handy und der passenden App mit nur wenigen Klicks möglich ist: Innerhalb von Minuten ist man nun an der Börse und kann loslegen mit dem Handeln. Die passenden Aktienempfehlungen liefert der Freundeskreis netterweise gleich mit. Und da außerdem kaum oder keine Handelsgebühren anfallen, ist die Hemmschwelle noch geringer. Dass die Kosten jedoch versteckt und zwar in Form einer Spanne zwischen Kauf- und Verkaufskurs einer Aktie anfallen, wird nicht bedacht. Hauptsache, die persönliche Angst die Gelegenheit zu verpassen, ist abgestellt.

Einschätzung der aktuellen Marktlage

Ein Crashprophet möchte ich jedoch nicht sein. Erstens halte ich es für unmöglich, Zeitpunkt und Umfang eines Börsencrashes richtig und vor allem zufallslos vorherzusagen. Zweitens bin ich ein grundoptimistischer Mensch und glaube an das Positive. Daher bin ich davon überzeugt, dass die jetzige Marktphase durchaus Chancen für lukrative Investments bieten kann. Wobei zu beachten ist, dass aufgrund der stark gestiegenen Kurse der gesamte Markt im Allgemeinen nicht günstig ist. So liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den amerikanischen S&P500 bei ca. 40 und ist somit im historischen Vergleich der letzten 30 Jahre als hoch anzusehen [13].


Für den deutschen Aktienindex DAX sieht die Lage ähnlich, wenn auch moderater, aus. Das durchschnittliche KGV des DAX ist mit etwa 16 zwar deutlich geringer als beim amerikanischen Pendant, aber hinsichtlich des historischen Vergleiches der letzten 20 Jahre erreicht dieser Wert einen eher hohen Stand [14]. Bei einer Betrachtung der letzten 40 Jahre sieht die Lage jedoch wiederum anders aus: Da wäre das jetzige Kursniveau eher noch günstig.


Ein weiteres, sehr starkes Argument für die derzeitige Bewertung ist die Aussicht auf steigende Unternehmensgewinne. Das letzte Jahr hat für viele Unternehmen eine Ausnahmesituation mit starken Gewinnrückgängen oder sogar Verlusten dargestellt. Allmählich zeichnet sich jedoch ab, dass die (wirtschaftliche) Corona-Krise überwunden ist und Unternehmen zunehmend Möglichkeiten gefunden haben, trotz der Pandemie Geld zu verdienen. Es liegt daher nahe, dass die Gewinne für 2021 über denen des Vorjahres liegen werden. Somit würde das Kurs-Gewinn-Verhältnis automatisch wieder sinken.

Kurstreibend ist außerdem die zunehmend aufkeimende Inflationserwartung: Der Lockdown führte zu geschlossenen Restaurants und Bars. Reisen und Urlaube waren nicht möglich. Selbst Klamotten und Make-Up wurden weniger gebraucht, da viele aus dem Home-Office arbeiten konnten. All das führte dazu, dass weniger Geld ausgegeben werden konnte als vor der Pandemie. Es stiegen also die Ersparnisse. Wenn zukünftig wieder Normalität eintreten sollte, entsteht ein aufgestauter Konsumwunsch. Die stark ansteigende Nachfrage wird zwangsweise in höhe Preise für Pizza, Haarschnitte oder dem Bier in der Kneipe führen, was letztlich zur Inflation beiträgt und sich positiv auf Unternehmensgewinne auswirken wird.

Wie geht es weiter?

Auf diese Frage kann es keine eindeutige Antwort geben. Gegen steigende Kurse sprechen die hohen Bewertungen und die von den Fundamentaldaten losgelöste Euphorie der unerfahrenen Anleger. Für steigende Kurse spricht jedoch die Erwartung einer normalisierten Wirtschaftslage sowie Inflation.
Ich persönlich denke, dass auf die Phase der immer weiter steigenden Kurse, wie wir sie derzeit sehen, eine Phase kommen wird, wo dir Kurse mal weniger stark oder vielleicht sogar auch gar nicht steigen werden. Wann es passieren wird, kann ich nicht sagen. Aber für bedachte Investoren werden sich sehr gute Kaufgelegenheiten ergeben. Man wird zur richtigen Zeit lediglich über zweierlei verfügen müssen: Mut und Geld.



(*): Ein Bitcoin kostet heute über 50.000 USD – für dieses Geld bekommt man auf beliebten Urlaubsinseln wie etwa Bali schicke Häuser samt Sonne und Meer. Ob der Verkäufer jedoch Bitcoin akzeptiert, ist fraglich.

Das Quellenverzeichnis zu diesem Eintrag findest Du hier.

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Vielen Dank und viel Spaß beim Weiterlesen,
Dein Andy
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