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02: Value Philosophie

Andy • 19. Juli 2020
Mehr als bloß ein Schlagwort: Die Idee hinter Value Investing und die enormen Vorteile

Als finanziellen Urknall bezeichne ich den Zeitpunkt, als ich durch mein persönliches Aha-Erlebnis zur Einsicht gekommen bin, dass sich Investitionen in solide und substanzstarke Unternehmen nach dem Prinzip des Value Investing deutlich mehr auszahlen, als in vermeintliche Börsenstars und kurzlebige Trendaktien. Um jedoch dahin zu kommen, war es für mich zunächst notwendig, einige Fehler zu machen und wortwörtlich Lehrgeld an der Börse zu zahlen. Doch was genau ist die Philosophie beim Value Investing und welche Vorteile bringt Dir diese Anlagestrategie?

Value Investing Philosophie

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Investition und Spekulation, der vielen Anlegern gar nicht bewusst ist: Bei der Spekulation wird auf bloße Preisveränderungen einer Geldanlage abgezielt und der Gewinn somit beim Verkauf realisiert [1]. Der Preis beim Wieder-Verkauf beeinflusst daher maßgeblich die Rendite [1]. Zwischenzeitliche Zahlungsströme sind hierbei eher von nachrangiger Bedeutung. Bei Investitionen hingegen wird die Rendite maßgeblich durch kalkulierbare Zahlungsströme bestimmt, die während der Dauer der Geldanlage erhalten werden [2]. Investitionen zielen also darauf ab, Geld langfristig zu binden und Anlagen zu behalten [2]. Der eigentliche Gewinn von Investitionen entsteht also im Grunde genommen bereits beim Kauf.

Und genau das ist der Kern der Value Investing Philosophie: Starke Unternehmen kaufen und sie lange besitzen. Hier geht es darum, zunächst diejenigen Unternehmen zu identifizieren, bei denen abgeschätzt werden kann, wie viel Geld sie in den nächsten 10, 20 oder 30 Jahren erwirtschaften werden, das wiederum an die Aktionäre ausgezahlt oder in weiteres Wachstum investiert werden kann [3]. Der Grad der Unsicherheit, also das Risiko dieser Abschätzung, sollte dabei so gering wie möglich sein. Insofern eignen sich hierfür nur Unternehmen, die ein klares und prognostizierbares Geschäftsmodell haben.

Ist diese Bedingung erfüllt, wird der Wert des Unternehmens bestimmt. Die Bestimmung des Unternehmenswertes bildet den Grundstein der Rendite der nächsten Jahrzehnte und bedarf daher eines entsprechend sorgfältigen Vorgehens. Neben Untersuchung von Geschäftsmodell und Ertragsaussichten, wird eine Analyse der Bilanz und der darin enthaltenen Kennzahlen durchgeführt. Um anschließend den heutigen Wert des Unternehmens zu bestimmen, kann das Discounted-Cashflow-Verfahren (DCF) genutzt werden. Beim DCF-Verfahren werden zukünftige Zahlungsströme des Unternehmens auf ihren heutigen Wert abgezinst [4]. Kurzum: Das DCF-Verfahren beantwortet Dir mathematisch und objektiv die Frage, ob es für Dich sinnvoller ist, heute 100€ anzunehmen oder in einem Jahr 110€. Faktoren, die rein objektiv Deine Entscheidung beeinflussen, sind der risikofreie Zins und die Wahrscheinlichkeit, die 110€ in Zukunft tatsächlich ausgezahlt zu bekommen. Hierzu später mehr.


Sobald der heutige Wert des Unternehmens bestimmt wurde, wird es einfach: Es gilt lediglich diesen Wert mit dem heutigen Preis des Unternehmens zu vergleichen, also dem Aktienkurs. Ist der Aktienkurs geringer als der Wert des Unternehmens, kann es gekauft werden. Je höher die Spanne, also die Sicherheitsmarge [5], zwischen Wert und Preis, desto rentabler und daher sinnvoller ist der Kauf. Da es sich beim Value Investing um Investitionen handelt, gilt es anschließend die gekauften Unternehmen möglichst lange zu halten und von ihrem Erfolg anhand von Dividenden und Kurssteigerugen zu profitieren. Man spricht hierbei von „Buy and Hold“ – sehr zum Ärger von Banken und Brokern übrigens, die die Kunden zu möglichst vielen Transaktionen animieren und mitverdienen [6].

Die Unternehmensbewertung ist beim Value Investing elementar für den Erfolg. Daher werde ich Dir im moneyIng. Blog ab dem Beitrag 06 das Vorgehen nach und nach verständlich erklären und anhand von realen Beispielen ausführlich verdeutlichen. Bis dahin sind jedoch noch einige Vorarbeiten notwendig, um mit Dir gemeinsam die richtigen Grundlagen zu schaffen.

Vorteile der Value Investing Strategie

Die Geldanlage nach dem Value Investing Prinzip hat fünf entscheidende Vorteile. Der wichtigste von ihnen ist die erzielbare Rendite. Wie ich schon erwähnt habe, erwirtschaften die beiden bekanntesten Value Investoren Warren Buffett und Charlie Munger im Schnitt kontinuierlich Renditen von über 20% im Laufe der letzten 50 Jahre. Sie schlagen damit bei Weitem die langfristige Entwicklung des Vergleichsindex S&P 500 [7], vom DAX ganz zu schweigen [8].

Warum lassen sich also hohe Renditen erzielen? Die Erklärung ist ziemlich einfach: Die Unternehmen, die für das Value Investing in Frage kommen, weisen ein sehr beständiges und widerstandfähiges Geschäftsmodell auf. Sie haben eine dominante Marktstellung und sind mit ihren Marken und Produkten gegenüber ihren Wettbewerbern führend. Durch diese Dominanz weisen sie geringe Verschuldungsgrade auf. Sie können wirtschaftliche Durststrecken, wie beispielsweise die aktuelle Corona-Krise oder die letzte Finanzkrise, viel besser überstehen und sogar ihre Marktanteile ausbauen, während Wettbewerber schwer zu kämpfen haben. Das alles führt dazu, dass sich die Aktienkurse dieser Value Unternehmen langfristig trotz, oder gerade wegen, Krisen sehr positiv entwickeln können.


Ein ausgesprochen gutes Beispiel für eine extrem dominante Markstellung bietet das Softwareunternehmen Microsoft. Microsoft ist bekannt für Produkte der Windows oder Office-Serie, zu der Programme wie Word, Excel oder PowerPoint gehören. Über die letzten Jahrzehnte hat es Microsoft geschafft, sich sehr genau zu positionieren. So laufen heute die meisten Computer auf dem Betriebssystem Windows. Doch viel interessanter ist der Erfolg der Office-Produkte, denn nahezu jedes Unternehmen weltweit verwendet Teile dieser Software tagtäglich in ihren Prozessen. Präsentationen ohne PowerPoint, Kalkulationen ohne Excel oder Meetings ohne Teams sind heute undenkbar. Kurzum: Microsoft hat es geschafft, sich für ihre Kunden unverzichtbar zu machen.

Die Skaleneffekte sind enorm, was dazu führt, dass die Entwicklungs- und Vertriebskosten mit jeder verkauften Lizenz immer geringer werden. Von jedem zusätzlich umgesetzten USD bleibt also immer mehr Gewinn übrig, sodass Microsoft im letzten Geschäftsjahr einen Gewinn nach Steuern von 39,2 MRD USD erzielte [10]. Des Weiteren erfolgt zunehmend eine Umstellung von Kauf- zu Mietsoftware, bei der die Kunden im Abo-Format monatlich geringe Beiträge zahlen und dafür Produkte von Microsoft nutzen können. Die Folge davon ist, dass die Umsätze konstant sind, tendenziell weniger stark schwanken und somit zu prognostizierbaren Gewinnen führen werden.


Diese Dominanz spiegelt sich im Verlauf des Aktienkurses wider. Vor Ausbruch des Corona-Virus lag der Kurs bei etwa 188 USD und fiel auf einen Tiefstand von 136 USD. Doch schon innerhalb weniger Wochen hat sich der Kurs vollständig erholt und steht nun sogar deutlich höher als vor Beginn der Krise [11]. Das widerstandsfähige Geschäftsmodell und die dominante Markstellung tragen zur positiven Kursentwicklung bei. Und auch die 102,3 MRD USD, die das Unternehmen an Cash Reserven besitzt sind in Krisenzeiten ausgesprochen gute Nervenmittel [10].

Genial einfach: Hohe Renditen dank dominanter Markstellung!

Erzielte Renditen nutzen jedoch keinem Investor etwas, wenn sie durch hohe Kosten aufgefressen werden. Daher gilt es, diese so gering wie möglich zu halten. Ich unterscheide hierbei zwischen einmalig anfallenden und laufenden Kosten. Bei letzterem angefangen, lohnt sich der Wechsel zu einer Direktbank, die Online-Depots komplett ohne laufende Kosten anbieten. Einmalig fallen hingen Kosten an, die beim Kauf oder Verkauf entstehen. Je nach Kostenmodell der Bank, wird ein fester Betrag in Rechnung gestellt oder in Prozent vom Orderwert abgerechnet.

Das Grundprinzip beim Value Investing ist, gekaufte Aktien jahrzehntelang im Depot zu halten und nicht ständig hin und her handeln. Die Gesamtkosten sinken dadurch immens: Wer zum Beispiel 1000€ investiert und dafür einmalig 10€ für den Kauf bezahlt, hat über einen Zeitraum von 10 Jahren Gesamtkosten von nur 0,1% pro Jahr. Somit ist die Geldanlage nach dem Prinzip des Value Investing deutlich günstiger als passive ETF, die jährlich laufende Kosten von 0,1% – 0,5% aufweisen [12].

Genial einfach: Kaufen und Liegenlassen spart Kosten.

Anders als junge Unternehmen, zahlen etablierte und substanzstarke Unternehmen einen Teil ihrer Gewinne als Dividende an die Aktionäre aus. Unternehmen, die die anspruchsvollen Kriterien für ein Value Investment erfüllen, haben über mehrere Jahre hinweg wenig schwankende Gewinne, was zu kontinuierlichen und verlässlichen Dividendenzahlungen führt. Beispielsweise zahlt der Versicherer Allianz seit 35 Jahren, der Getränkehersteller Coca-Cola sogar seit mehr als 100 Jahren ununterbrochen Dividenden. Die Zahlungen der Dividenden können dabei einmal oder mehrmals im Jahr erfolgen und stellen für Value Investoren gut kalkulierbare und verlässliche Cashflows dar.

Genial einfach: Verlässliche und kalkulierbare Dividendenzahlungen.

Wie die meisten von uns, verbringe auch ich meine Freizeit viel lieber mit meinen Freunden im Biergarten, als ständig Aktienkurse zu vergleichen oder zu überlegen, was ich kaufen oder verkaufen soll. Daher bietet beim Value Investing der „Buy And Hold“ Ansatz neben der erwähnten Kostenersparnis vor allem den Vorteil des geringen Aufwandes. Demnach machen sich langfristig orientierte Investoren nur einmalig die Arbeit, ein Unternehmen und dessen Markstellung zu untersuchen. Sie treffen anschließend eine Entscheidung und investieren. Punkt. Solange das Geschäftsmodell intakt ist und das Unternehmen weiterhin eine dominante Markstellung besitzt, halten Value Investoren an ihrem Unternehmen fest, und zwar unabhängig davon, wie die Aktienkurse gerade schwanken.

Genial einfach: Mehr Zeit für Familie, Freunde und Biergarten dank Buy And Hold!

Der letzte Punkt ist mir persönlich besonders wichtig: Als Aktionär verdient man nicht einfach nur Geld durch Dividenden und Kursgewinne, vielmehr ist man Miteigentümer eines Unternehmens. Wer sich das bewusst macht, erfreut sich einerseits daran, Produkte oder Dienstleistungen „seines" Unternehmens überall in der Welt wieder zu erkennen. Wenn ich Menschen mit einem iPhone telefonieren, eine Coca-Cola trinken oder einen BMW fahren sehe, freue ich mich darüber, dass diese Menschen Kunden „meines“ Unternehmens geworden sind und sich bewusst für dessen Produkte entschieden haben. Es entsteht eine Identität zwischen den beiden Rollen, nämlich der Rolle als Miteigentümer eines Unternehmens und der als finanzieller Investor.

Andererseits kann diese Identität im besten Fall dazu führen, bewusst nicht in bestimmte Unternehmen zu investieren. Wer beispielsweise gegen Waffen- und Rüstungsgüter ist oder Massentierhaltung ablehnt, wird sein Geld nicht in solche Unternehmen stecken, selbst wenn sie eine noch so hohe Rendite versprechen.

Genial einfach: Identität schaffen, bewusst investieren.

Wie Dich moneyIng. unterstützt

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir uns intensiver mit unseren Finanzen und der privaten Geldanlage beschäftigen sollten. Doch das ist gar nicht so einfach. Weil diese Themen nicht auf dem Lehrplan in der Schule standen, wissen viele von uns gar nicht, wie sie anfangen sollten. Das Lesen von Geschäftsberichten und Bilanzen oder die Berechnung von Kennzahlen fallen für Anfänger extrem schwer. Ich weiß wovon ich rede, da ich mehre Jahre gebraucht habe, um zu dahin zu kommen, wo ich heute bin.

Daher wird Dir der moneyIng. Blog die Unterstützung geben, die ich damals nicht hatte: Eine systematische Einführung an die Börse und Erklärung der Vorgehensweise bei der Auswahl und Bewertung von Unternehmen. Nachdem wir im Beitrag 04 und 05 zunächst Vorarbeiten leisten und klären, warum der Erfolg an der Börse im Kopf beginnt, werden wir ab dem Beitrag 06 im Detail anschauen, welche Kriterien bei der Auswahl von Unternehmen zu beachten sind und wie sie geprüft werden. Ich werde Dir jedes Kriterium zunächst in der Theorie erklären, bevor wir anschließend an realen Praxisbeispielen börsennotierte Unternehmen gemeinsam und nachvollziehbar bewerten. Fachausdrücke und Berechnungen für Kennzahlen erkläre ich Dir ausführlich im Glossar. Also, ich wünsche Dir viel Spaß beim Dranbleiben und Weiterlesen!

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